Card image
"Kein Stadtwerk muss LNG mit Sorge vor zu langen Lieferzeiträumen betrachten"

"Kein Stadtwerk muss LNG mit Sorge vor zu langen Lieferzeiträumen betrachten"

October 2, 2023
Deutschland sei noch immer viel zu stark vom Gas-Spotmarkt abhängig, warnt MET-Germany-Chef Selbach-Röntgen. Im ZfK-Interview erklärt er, warum beim Ausweg Langfristverträge auch kommunale Großabnehmer eine tragende Rolle spielen sollten.

Quelle: ZfK

Spätestens seitdem Deutschland in die Gaskrise stürzte, ist Jörg Selbach-Röntgen, erfahrener Gashändler und seit Herbst 2020 Geschäftsführer von MET Germany, ein über die Energiebranche hinaus gefragter Mann. Anfang des Jahres sicherte sich der Schweizer Mutterkonzern MET Kapazitäten am LNG-Terminal in Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern. Wenige Monate später trat Selbach-Röntgen selbst als Sachverständiger im Energieausschuss des Bundestags auf. Am Rande der Handelsblatt-Gastagung redete die ZfK mit ihm über Chancen und Risiken neuer LNG-Langfristverträge – und über den Ruf großer Industrieunternehmen nach staatlichen Hilfen.

Herr Selbach-Röntgen, die ersten großen deutschen Gashändler haben begonnen, LNG-Langfristverträge zu schließen. Reicht das aus?

Nein. Aus meiner Sicht ist noch viel zu wenig passiert. Die öffentlich bekannten Mengen sind zu klein, um mehr Stabilität bezüglich Versorgungssicherheit und Preisen in den europäischen Gasmarkt zu bekommen. Wir sind in Summe noch immer viel zu stark von Kurzfrist-Cargos und somit vom Spotmarkt abhängig.

Woher rührt die Zurückhaltung?

Im Vergleich zum vergangenen Jahr sind die Gaspreise deutlich gesunken. Die extremen Preisbewegungen haben nachgelassen. Die Gasspeicher sind voll, die Gasflüsse stabil. Deshalb scheint die Dringlichkeit, sich mittel- und langfristig abzusichern, aktuell kein dominierender Gedanke zu sein. Aber die Annahme einer vermeintlichen Sicherheit ist trügerisch. Denn wer sich ausschließlich auf den Spotmarkt verlässt, ist erheblichen Preisrisiken ausgesetzt. Wenn China und der gesamte asiatische Raum in Summe anfangen, Flüssigerdgas im großen Stil aus dem Spotmarkt zu saugen, kann das Gas für Europa ganz schnell knapp und teuer werden.

Was würden Sie sich wünschen?

Zum einen brauchen wir einen intensiven Dialog über die gemeinsame Verantwortung für die Versorgungssicherheit. Es braucht die Politik, Großhändler wie uns, aber natürlich auch die großen Abnehmer im kommunalen und industriellen Bereich, die alle eine tragende Rolle übernehmen sollten. Aktuell beobachten viele Akteure die Lage von der Seitenlinie, umgesetzt wird aber noch bei weitem nicht genug.

Nehmen wir an, die Großindustrie und große Stadtwerke würden anteilig 10 bis 20 Prozent ihrer Portfolien über LNG-Zehnjahresverträge absichern. Das würde sich auf den Gasmärkten sofort in positiver Weise bemerkbar machen. Die Chancen auf eine dauerhafte stabilere Situation mit mehr Planbarkeit und besserem Preisniveau stünden gut. Dann könnten wir auch viel ruhiger über die Transformation der Gasbranche sprechen.

Aber?

Ich erlebe, dass sich bereits Verhandlungen über Zehnjahresverträge unglaublich komplex gestalten.

Warum?

Im Vergleich zum gewohnten Tagesgeschäft mit normalen Terminmarktgeschäften auf Basis eines Rahmenvertrages gibt es natürlich mehr zu besprechen und zu erklären. Die Anforderungen an das eigene Risikomanagement und die Einkaufsstrategie sind neu zu justieren. Das schreckt viele Gesprächspartner ab. Dabei kann ein solcher Vertrag sehr kreativ gestaltet werden und die Konditionen, die beispielsweise US-Exporteure bieten und die wir back to back weiterreichen, sind durchaus attraktiv – gerade dann, wenn die Preise an den Henry Hub gebunden sind, einen der liquidesten und derzeit günstigsten Gaspreisindizes weltweit.

Viele Unternehmen und Stadtwerke aber haben sich zum Ziel gesetzt, weit vor 2045 klimaneutral zu werden.

Die aktuelle Diskussion über Transformation und die Konsequenz für das eigene Unternehmen, Portfolio oder Netzgebiet schürt weitere Unsicherheit. Vor diesem Hintergrund wollen sie sich nicht mehr so langfristig binden. Dabei kann LNG in der Phase-Out-Phase der fossilen Energieträger eine gute Rolle einnehmen und die individuellen Enddaten des Bezuges können flexibel gestaltet werden.

Das müssen Sie erklären.

Langfristverträge werden zwischen Großhändlern und Produzenten geschlossen. Letztere benötigen eine langfristige Planungssicherheit für ihre Projekte. Dies führt in der Regel zu Laufzeiten von circa 20 Jahren. Es gibt aber die Möglichkeit, Langfristverträge so zu gestalten, dass sie sich nach einer bestimmten Zeit an ein anderes Unternehmen, zum Beispiel auch in einem anderen Land wie Japan übertragen lassen.

Und darum müssen sich die Abnehmer kümmern?

Nein, es ist unsere Aufgabe, für die deutschen Abnehmer und den Markt die jeweils benötigte Lieferdauer passend zu gestalten und so für einige Jahre stabile Gaspreise zu sichern. Kein deutsches Stadtwerk oder Industriekunde muss daher LNG mit Sorge vor zu langen Lieferzeiträumen betrachten.

Große deutsche Industrieverbände trommeln derzeit für staatliche Hilfen, erste energieintensive Unternehmen drohen bereits mit Produktionsverlagerungen ins Ausland. Was halten Sie davon?

Wir alle stehen gemeinsam in der Verantwortung, den deutschen Wirtschaftsstandort zu stärken. Nicht nur die Politik, sondern wir alle müssen hier noch mehr tun. Man muss auch anerkennen, dass die Bundesregierung bereits die Tür aufgemacht, LNG-Terminals gebaut und in LNG-Exportstaaten geworben hat. Wir erleben in den Gesprächen mit der Politik die Offenheit für weitere, zielgerichtete Unterstützung der potenziellen Abnehmer und versuchen erläuternd und koordinativ zur Seite zu stehen.

Aber?

Die Langfristverträge müssen dann schon die Marktakteure selbst schließen. Die Wettbewerbsfähigkeit im Sinne der Energiepreise hängt auch an der eigenen Strategie und nicht nur an bereits existierenden Abgaben oder Bürokratie. Die Analyse der vergangenen Krisenmonate zeigt, wie heterogen hier die Marktteilnehmer aufgestellt waren. Nun gilt es auch in Eigenverantwortung zu agieren, wo es eben geht.

Das Interview führte Andreas Baumer